Steffen Tober, Dissertation, Fachbereich Physik der Universität Hamburg, 2022 :

"Oberflächennaher Eisenkationentransport in Magnetit"


"Near-surface Iron Cation Transport in Magnetite"


Der Volltext wurde als Buch/Online-Dokument (ISBN ) im Verlag Deutsches Elektronen-Synchrotron veröffentlicht.

Summary

Kurzfassung

Magnetit (Fe3O4), eines der ältesten bekannten magnetischen Materialien, findet vielfältige Verwendung als Katalysator oder Katalysatorbestandteil, in Form von Nanopartikeln als Kontrastmittel in der Medizin oder als Komponente in hierarchischen Materialien sowie in Form dünner Schichten in der Entwicklung spintronischer Komponenten. Die Anwendung oder Herstellung dieser Systeme hängt stark von der Beschaffenheit der Magnetitoberfläche ab. 􏰃 Auf der Magnetit (001) Oberfläche wurde die nichtstöchiometrische ( √2 × √2) R45° Oberflächenrekonstruktion beobachtet, der ein Strukturmotiv aus einem interstitiellen Eisenkation in tetraedrischer Koordination und zwei oktaedrisch koordinierten Leerstellen in der darunter liegenden Lage zugrunde liegt. Die Aufhebung der Rekonstruktion und die Wiederherstellung der unverzerrten Oberflächenstruktur, durch die Adsorption von Molekülen oder Erhitzen, erfordert daher Kationentransportprozesse um die Leerstellen mit Kationen aus dem Volumen zu füllen. Bei 900 K wird unter moderaten Sauerstoffdrücken von 1.3 × 10−6 mbar das Wachstum neuer Magnetitlagen auf der (001) Oberfläche erkennbar. Die dafür nötigen Kationen werden im Volumen durch die Oxidation von Magnetit zu Hämatit bereitgestellt. Kationentransportprozesses wie sie der Aufhebung der Oberflächenrekonstruktion oder dem oxidativen Wachstum zugrunde liegen wurden im anwendungsrelevanten Temperaturbereich von 470-770 K im Ultrahochvakuum (UHV ) untersucht. Magnetit ist unter diesen Bedingungen thermodynamisch instabil, jedoch aufgrund der nötigen hohen Energie für die Umwandlung der kubischen Magnetitstruktur in die hexagonale Hämatitstruktur kinetisch stabilisiert. Oxidationsprozesse führen daher zur Bildung von gleichfalls kinetisch stabilisiertem kubischen Maghemit. Die thermisch induzierte Veränderung der Grenzfläche zwischen isotopenmarkierten 57Fe3O4 Dünnfilmen und Magnetitsubstraten wurde mittels Neutronenreflektivität (NR), nuklearer Vorwärtsstreuung von Synchrotronstrahlung (NFS) und Flugzeitmassenspektroskopie (ToF-SIMS) beobachtet. Das Wachstum, die Struktur und die Oberflächenbeschaffenheit der Dünnfilme wurden durch oberflächensensitive Röntgenbeugung (SXRD), Röntgenreflektivität (XRR), niederenergetische Elektronenbeugung (LEED), Rasterkraftmikroskopie, Auger-Elektronen- (AES) und Röntgenphotoelektronenspektroskopie (XPS) charakterisiert. Magnetitdünnfilme wurden angelehnt an Verfahren zur Heteroepitaxie von Magnetit auf Magnesiumoxid homoepitaktisch gewachsen. Die chemische Charakterisierung durch AES und XPS zeigte die identische Stöchiometrie der Magnetitsubstrate und Dünnfilme. Die Untersuchung der Struktur mittels SXRD, LEED und XRR ergab eine verringerte Dichte der Dünnfilme sowie eine leichte Kontraktion der Struktur senkrecht zur Oberfläche bei ansonsten guter Übereinstimmung mit der Magnetitstruktur. In situ Wachstumsexperimente und die Modellierung der beobachteten Wachstumsoszillationen mit dem birth-death model zeigten ein geordnetes Lagenwachstum mit einer Wachstumseinheit einer 1/4 Einheitszelle wobei höhere Wachstumsraten und Drücke zu zunehmenden Abweichungen vom geordneten Wachstum führten. Auf AFM-Bildern der Dünnfilme wie auch auf einem unter Wachstumsbedingungen bei 420 K in 8 × 10−7 mbar Sauerstoff geheizten Substrat wurden ausgedehnte Inselstrukturen beobachtet. Diese Inselstrukturen resultieren wie zuvor beschrieben aus einem Oxidationsprozess und scheinen parallel zum homoepitaktischen Wachstum zu entstehen. Die beobachteten Strukturveränderungen können zumindest teilweise auf diesen Prozess zurückgeführt werden. Der oberflächennahe Kationentransport in Magnetit wurde an der Grenzfläche zwischen isotopenmarkierten 57Fe3O4 Dünnfilmen und Magnetitsubstraten beobachtet. Bereits vor den Diffusionsexperimenten wurde eine deutliche, aus dem Wachstumsprozess resultierende Vermischung an der Isotopengrenzfläche festgestellt. Kationentransportprozesse wurden durch Erhitzen der Dünnfilme unter Ultrahochvakuumbedingen (UHV ) ausgelöst. Eine Veränderung der 57Fe-Verteilung wurde mit NR, NFS und ToF-SIMS bereits ab einer Temperatur von 470 K nachgewiesen. Durch NFS konnte zudem gezeigt werden, dass diese Transportprozesse hauptsächlich im oktaedrischen Untergitter der Magnetitstruktur stattfinden. Auch gemäß des für das Volumen von Magnetit unter thermodynamisch stabilen Bedingungen entwickelten Punktdefektmodells des Kationentransports ist in einer oxidierenden Umgebung Kationentransport hauptsächlich im oktaedrischen Untergitter zu erwarten. Die aus den Transportexperimenten abgeschätzten Diffusionskoeffizienten sind jedoch vier bis fünf Größenordnungen kleiner als nach dem Punktdefektmodell zu erwarten wäre. Diese Differenz ist teilweise auf die Defektstruktur und die komplexe Oberflächenmorphologie der isotopenmarkierten Dünnfilme zurückzuführen. Zudem sind außerhalb des thermodynamischen Stabilitätsbereichs von Magnetit weitere Transportprozesse zu erwarten, die den rein statistischen Transport der 57Fe Kationen entlang der Oberflächennormale behindern. Die bereits bei 470 K beobachtete Kationenmobilität im oberflächennahen Bereich von Magnetit (001) macht deutlich, dass Wachstums- und Transportprozesse bei der Herstellung und Verwendung von magnetitbasierten Komponenten eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielen.

Titel

Kurzfassung

Summary

Magnetite (Fe3O4), one of the first known magnetic materials, has multiple applications as for example as a catalyst or catalyst component. Magnetite nanoparticles are used as contrast agents in medicine or building blocks in novel hierarchical materials with outstanding mechanical properties. Magnetite thin-films are promising for the development of spintronic devices. For all these applications the surface structure and the processes in the near-surface region of magnetite are crucial. On the magnetite (001) surface a non-stoichiometric ( √2 × √2) R45° reconstruction is observed after preparation in ultra-high vacuum (UHV). The reconstruction’s structural motif was found to be the combination of a tetrahedrally coordinated interstitial cation and two octahedrally coordinated vacancies in the subjacent layer. Lifting of the reconstruction by adsorption of molecules or annealing therefore requires cation transport processes to fill the vacancies with cations from the bulk. During annealing to 900 K at 1.3 × 10−6 mbar oxygen an oxidative regrowth of new magnetite layers was observed on the (001) surface. The cations forming the new layers are supplied by the oxidation of magnetite to haematite deep in the bulk. Transport processes involved in the lifting of the reconstruction or the regrowth phenomenon were monitored under UHV conditions in the temperature range from 470-770 K relevant for catalysis applications and the manufacturing of magnetite-based materials and devices. Under these conditions, magnetite is thermodynamically unstable, but the phase transfer to thermodynamically stable haematite is kinetically hindered due to the energy needed to transform the cubic magnetite to the hexagonal haematite structure and the low energy gain of the phase transformation. Oxidation instead leads to the formation of a kinetically stabilised cubic maghemite phase. Cation transport was observed at the interface of isotopically labelled 57Fe3O4 thin-films and magnetite substrates by neutron reflectivity (NR), nuclear forward scattering (NFS) and time-of-flight secondary ion mass spectrometry (ToF-SIMS). The growth, structure and surface morphology of the thin-films were studied by surface X-ray diffraction (SXRD), low-energy electron diffraction (LEED), Auger electron spectroscopy (AES), X-ray photoelectron spectroscopy (XPS) and atomic force microscopy (AFM). Magnetite thin-films were homoepitaxially grown by reactive molecular beam epitaxy. Chemical characterisation by AES and XPS showed that the prepared thin-films had a close to perfect magnetite stoichiometry. The thin-film structures were characterised by SXRD, LEED and XRR indicating a slightly reduced density of the thin-films and a minor contraction of their structure along the surface normal, otherwise being in good agreement with the structure of magnetite. X-ray growth intensity oscillations observed during the deposition indicated an ordered layer-by-layer growth of magnetite. Modelling the oscillations with the birth-death model of epitaxy indicated a slightly reduced order of the growth process for increasing growth rates. The modelled growth unit corresponds to 1/4 of the unit cell of magnetite. AFM images of the thin-films but also of substrates heated under growth conditions at 420 K in 8 × 10−7 mbar oxygen showed large flat islands covering the surface. The islands result most likely from the regrowth process described above. They seem to be formed in parallel to the homoepitaxial growth process and might partly explain the deviations of the thin-film and the bulk magnetite structure discussed above. Cation transport in the near-surface region was observed by monitoring the interface of a 57Fe3O4 thin-film and its magnetite substrate. A considerable intermixing at the isotopic interface resulting from the growth procedure was already observed before the actual transport experiment. Cation transport was induced by annealing the thin-films in UHV. Changes of the 57Fe distribution were found by NR, NFS and ToF-SIMS starting at 470 K. Using NFS, the changes could be attributed predominantly to the octahedrally coordinated cations. Under the given slightly oxidising conditions, cation transport via the octahedral sublattice is also predicted by the point defect model developed for the cation transport in the volume of thermodynamically stable magnetite. The diffusion coefficients estimated from NR and NFS are, however, four to five orders of magnitude smaller than expected from the point defect model. The discrepancy might be explained partly by the defect structure and the complex surface morphology of the thin-films. As the experiments were carried out outside the thermodynamic stability range of magnetite side effects may have taken place slowing down the statistical transport of 57Fe along the surface normal. The observation of cation migration in the near-surface region of magnetite at only 470 K clearly shows that growth and transport processes are non-negligible for the manufacturing process and the application of magnetite based structures.