Kurzfassung
Für eine Fülle von Vielteilcheneffekten in der Natur spielt der Spin eine entscheidende Rolle, angefangen bei Magnetismus in Festkörpern bis hin zu noch komplexeren Effekten in Hochspin-Systemen wie dem Quark-Gluon Plasma. Anhand von Quantengasexperimenten können solche Systeme in einer beispiellos reinen und kontrollierbaren Umgebung untersucht werden. So haben Experimente mit Spinor Bose-Einstein Kondensaten in den letzten Jahren völlig neuartige Hochspin-Phänomene ans Licht gebracht. Ein Beispiel hierfür ist eine durch Stöße getriebene Spindynamik. Da die Grundbausteine der Materie aber Fermionen sind, ist es eine fundamentale Frage, inwieweit solche Hochspin-Phänomene auch in fermionischen Systemen zu finden sind.
Vor diesem Hintergrund widmet sich die vorliegende Arbeit der Untersuchung fermionischer Spindynamik. Zum ersten Mal konnten spinändernde Stöße in einem fermionischen Quantengas beobachtet werden. Dieser neuartige Effekt wurde von der mikroskopischen Zweiteilchenebene bis hin zum Vielteilchenregime intensiv erforscht.
Dafür wurden neue Methoden zur Präparation und zur experimentellen Kontrolle von fermionischen Hochspin-Systemen entwickelt. Zunächst wurde in tiefen optischen Gittern die Spindynamik zwischen zwei isolierten Fermionen untersucht. Die Ergebnisse zeigen eine neuartige multidimensionale Spindynamik, die bis zu zehn verschiedene Spinzustände kohärent einschließt. Die hervorragende Übereinstimmung mit einem Zweiteilchen-Stoßmodell erlaubte es, fundamentale Streuparameter zu bestimmen und zum ersten Mal Spinaustausch-Prozesse mit hohen Kollisionsquanten nachzuweisen. Erstmalig wurde auch gezeigt, dass ein Bandisolator in Hochspin-Systemen - im Gegensatz zu Festkörpern - durch spinändernde Stöße instabil werden kann.
Inspiriert von diesen grundlegenden Erkenntnissen wurden spinändernde Stöße in fermionischen Vielteilchensystemen untersucht. In einem Fermisee, bestehend aus mehreren 10^5 Teilchen und mit einer Größe von einigen hundert Mikrometern, wurde ein völlig unerwartetes Phänomen entdeckt: Getrieben durch mikroskopische Stöße dreht der Fermisee kollektiv seinen Spin. Anhand einer detaillierten Studie konnte gezeigt werden, dass das gesamte Vielteilchensystem trotz seiner räumlichen Komplexität in einer Molekularfeldnäherung als eine einzige örtliche Mode beschrieben werden kann. Dieses neuartige kollektive Verhalten ergänzt die wenigen bisher bekannten kollektiven Effekte in Fermionen, wie z.B. Suprafluidität, und stellt ein zentrales Ergebnis der vorliegenden Arbeit dar.
In einer weiterführenden Untersuchung wurde die kollektive Spindynamik als Modellsystem zur Untersuchung von Relaxationseffekten eingesetzt, einem der zentralen Themen in der aktuellen Forschung der Vielteilchenphysik. In diesem Zusammenhang konnte nachgewiesen werden, dass das kollektive Verhalten nur durch eine Pauli-Blockade bei ultrakalten Temperaturen ermöglicht wird. Dabei wurde ein neuartiger Mechanismus entdeckt, der magnetisch angeregte Zustände durch Kollisionen intrinsisch stabilisiert. Des Weiteren konnte erstmals eine Relaxationsdynamik beobachtet werden, die das Hochspin-System auf einer langsamen Zeitskala thermalisieren lässt.
Die Ergebnisse dieser Arbeit tragen grundlegend zu einem besseren Verständnis der Physik fermionischer Vielteilchensysteme bei. Durch die erzielten Resultate eröffnet sich eine Fülle von vielversprechenden Perspektiven, z.B. die Untersuchung von neuartigen Quantenphasen in fermionischen Hochspinsystemen, die bislang weitgehend unerforscht sind.
The spin plays a fundamental role for various many-body effects in nature, ranging from magnetism in solids to even more complex phenomena in high-spin systems such as the quark-gluon plasma. Quantum gases are ideally suited to study such systems in an exceptionally clean and controllable environment. For example, experiments with spinor Bose-Einstein condensates have revealed completely new high-spin phenomena in the last years. In this context, interaction-driven dynamics of the spin degree of freedom have been found. However, since the constituents of matter are fermions, there is a huge interest in current research activities to understand to which extent these effects also exist in fermionic systems. This thesis is devoted to the investigation of fermionic spin dynamics. For the first time, spin-changing collisions could be observed in fermionic quantum gases. This novel effect has been explored in various regimes, ranging from the microscopic two-body process to the many-body regime. For these investigations, new methods for the experimental preparation and control of fermionic high-spin systems have been developed. In a first approach, spin dynamics were investigated between two isolated fermions, realized in deep optical lattices. The results demonstrate novel coherent multi-flavor spin dynamics, involving up to ten different spin states. An excellent agreement with a two-particle scattering model allowed for the determination of fundamental scattering parameters and for the first demonstration of spin-changing collisions with high-collision quanta. Moreover, the experiments reveal a new instability of a band insulator in high-spin systems - in contrast to conventional solid-state systems - induced by spin-changing collisions. Inspired by these fundamental findings, the impact of spin-changing collisions on a fermionic many-body system has been investigated. In a Fermi sea, consisting of several 10^5 particles with a spatial extension of several hundred micrometers, a fully unexpected phenomenon could be observed: the Fermi sea exhibits giant and long-lived spin oscillations induced by microscopic collisions despite its multi-mode structure. A detailed experimental study demonstrated that the whole system can be well captured in a mean-field approach using a single-mode approximation. This novel collective behavior is one of the few collective effects known in fermionic many-body systems such as superfluidity and constitutes a central result of this work. In a further investigation, these collective spin dynamics have been employed to study relaxation effects, which are currently one of the most important topics of many-body physics. Doing so, studies demonstrated that collective spin dynamics are only stabilized due to Pauli blocking at ultralow temperatures. In addition, a new stabilization mechanism was discovered, which stabilizes magnetically excited spin mixtures governed by the interplay between different collision processes. In addition, spin-relaxation dynamics of fermionic atoms were observed for the first time, which lead to a thermalization of the fermionic many-body system on long time scales. The results presented in this thesis provide an important contribution to a deeper understanding of fermionic many-body systems. They pave the way towards exciting studies of novel high-spin quantum phases, which so far have remained widely unexplored.