Giulia Lusetti, Dissertation, Fachbereich Physik der Universität Hamburg, 2025 :

"Galaxienhaufen im Zeitalter ultratiefer Radiofrequenzen: Ein LOFAR-LBA-Blick von Radiogalaxien bis hin zu diffuser Emission."


"Galaxy Clusters in the Ultra-Low Radio-Frequency Era: A LOFAR LBA view From Radio Galaxies to Diffuse Emission"


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Summary

Kurzfassung

Galaxienhaufen entstehen an den Knotenpunkten kosmischer Filamente durch den gravitativen Kollaps anf¨anglicher Dichtefluktuationen im fr¨uhen Universum sowie durch die anschließende Akkretion von Gas und Substrukturen. W¨ahrend dieses Prozesses wird eine große Menge En- ergie in Form von Schockwellen und Turbulenzen freigesetzt, die wiederum das Magnetfeld komprimieren und verst¨arken sowie Elementarteilchen auf relativistische Energien beschleu- nigen k¨onnen. Aufgrund des ∼ μG starken Magnetfeldes im Haufenplasma emittieren diese relativistischen Teilchen Synchrotronstrahlung im Radiobereich, die typischerweise als diffuse Quellen von Mpc-Ausmaß beobachtet wird – in Form von Radiohalos und -relikten. Radiorelikte sind l¨anglich Quellen, die sich meist in den Außenbereichen der Haufen befinden und Schock- wellen aufzeigen, die durch Haufenverschmelzungen ausgel¨ost wurden. Radiohalos hingegen sind zentral im Haufen gelegene Quellen, deren Ursprung auf durch die von Haufenverschmelzung erzeugte Turbulenzen zur¨uckgef¨uhrt wird, welche eine Wiederbeschleunigung von Elektronen bewirken. Beobachtungen bei ultra-niedrigen Frequenzen (≲ 100 MHz) sind entscheidend, um die Energieverteilung der Elektronen auf Hinweise zum zeitlichen Ablauf der Beschleunigungs- und Alterungsprozesse der strahlenden Teilchen zu pr¨ufen. Bislang wurden nur wenige Galaxienhaufen in diesem Frequenzbereich untersucht, weshalb jedes neue Objekt einen wertvollen Beitrag zum Verst¨andnis der nicht-thermischen Physik bei ultra-niedrigen Frequenzen liefert. Eine weitere charakteristische Komponente von Haufen im Radiobereich sind Radiogalax- ien. In Haufen zeigen die Materiestrahlen aktiver galaktischer Kerne (AGN) aufgrund ihrer Wechselwirkung mit dem sie umgebenden intracluster Medium (ICM) h¨aufig eine besondere Morphologie. Durch diese Wechselwirkung spielen sie eine wichtige Rolle in der thermis- chen und dynamischen Entwicklung der Haufen und dienen gleichzeitig als Quelle relativis- tischer Teilchen im ICM. Diese leicht-relativistischen Teilchen k¨onnen sp¨ater durch großskalige Prozesse im Haufen wiederbeschleunigt werden und zur Bildung der oben genannten diffusen Radioquellen beitragen. Aufgrund ihrer charakteristisch steilen Spektren werden sowohl diffuse Haufenemissionen als auch AGN-Plasma bevorzugt bei niedrigen Radiofrequenzen (≲ 300 MHz) untersucht, bei denen sie intrinsisch heller erscheinen. Allerdings sind interferometrische Ra- diobeobachtungen in diesem Bereich mit erheblichen technischen Herausforderungen verbun- den, insbesondere durch die starke Beeinflussung durch ionosph¨arische St¨orungen, die rich- tungsabh¨angige systematische Fehler im Sichtfeld verursachen. Mit der Einf¨uhrung des LOw-Frequency ARray (LOFAR), insbesondere seines Low Band An- tennas (LBA)-Systems, wurde ein neues Beobachtungsfenster er¨offnet, das hochaufl¨osende und empfindliche Aufnahmen in diesem Frequenzbereich erm¨oglicht. Der Zugang zu diesem ultra-niedrigen Frequenzbereich ist entscheidend, um Emission mit ultra-steilen Spektrum nachzuverfolgen, Alterungs- und Wiederbeschleunigungsprozesse kosmischer Elektronen zu untersuchen und fossiles Plasma aus fr¨uheren AGN-Aktivit¨atsphasen zu erfassen. In dieser Dissertation nutze ich die M¨oglichkeiten von LOFAR LBA, um eine Auswahl an Objekten zu untersuchen, die aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften wichtige Einblicke in die nicht-thermische Physik von Galaxienhaufen liefern. Im ersten Projekt dieser Arbeit habe ich die dynamische Wechselwirkung zwischen Ra- diogalaxien und dem umgebenden Medium im Galaxienhaufen ZwCl0634.1+4747 untersucht. Ich kombinierte Daten von vier Teleskopen, die Frequenzen zwischen 53 MHz und 1,5 GHz ab- decken, f¨ur drei sogenannte Head-Tail-Radiogalaxien in diesem Haufen. Diese stellen vermutlich eine wichtige Quelle leicht relativistischer Elektronen im ICM dar und sind somit ein zentraler Bestandteil der (Wieder-)Beschleunigungsprozesse, die f¨ur die diffuse, großskalige Radioemis- sion in Haufen verantwortlich sind. F¨ur diese Untersuchung war die kombinierte Nutzung von LOFAR LBA- und HBA-Beobachtungen entscheidend, um das gesamte Ausmaß der Ra- diogalaxienschweife bis zu einer Entfernung von ∼1 Mpc zu erfassen – darunter die l¨angsten bekannten Head-Tail-Radiogalaxien – und um die spektralen Eigenschaften der AGN-Schweife zu charakterisieren. Ich stellte deutliche Abweichungen von reinen Alterungsmodellen fest, die auf Synchrotron- und inverse-Compton-Verlusten basieren. Abschließend untersuchte ich verschiedene physikalische Prozesse, die f¨ur dieses Verhalten verantwortlich sein k¨onnten, und zeigte, dass durch Turbulenzen im Schweif verursachte Wiederbeschleunigung – ausgel¨ost durch die Wechselwirkung mit dem ICM – eine plausible Erkl¨arung darstellt. Im zweiten und dritten Projekt konzentrierte ich mich auf die Teilchenbeschleunigung in haufenverschmelzenden Galaxienhaufen durch die Untersuchung von Radiorelikten und Halos. Das zweite Projekt befasst sich mit CIZA J2242.8+5301, einem wohlbekannten verschmelzen- den Galaxienhaufen, der ein prototypisches Beispiel f¨ur ein Radiorelikt enth¨alt. F¨ur dieses Objekt f¨uhrte ich die erste vollst¨andige Reduktion und Kalibration von LOFAR LBA-Daten bei 45 MHz durch, wobei ich ein durch thermisches Rauschen begrenztes Bild mit σrms ∼ 1.5 mJy/beam erzielte. Durch die Kombination dieser Beobachtungen mit umfangreichen Mul- tifrequenzdaten bis 3 GHz konnte ich integrierte und r¨aumlich aufgel¨oste Spektralindizes sowie Karten der spektralen Kr¨ummung erzeugen. Dar¨uber hinaus erm¨oglichten die niederfrequenten Daten – die naturgem¨aß weniger von Strahlungsverlusten betroffen sind – eine direkte Ab- sch¨atzung des Injektionsspektrums und damit der Mach-Zahlen der Schockfronten: MN = 2.9 ± 0.5 und MS = 2.9 ± 0.8 f¨ur das n¨ordliche bzw. s¨udliche Relikt. Schließlich untersuchte ich die Oberfl¨achenhelligkeitverteilung des n¨ordlichen Relikts – jener gut definierten Radiostruktur, die dem Haufen den Spitznamen ”Sausage Cluster“ eingebracht hat. Ich stellte fest, dass der ¨ostliche Teil des n¨ordlichen Relikts entgegen den Erwartungen ein bemerkenswert symmetrisches Profil zeigt, mit ”Fl¨ugeln“ zu beiden Seiten des Maximums. Dies steht im Widerspruch zum Standard- szenario, das von einer einzigen, scharfen Schockfront mit nachgelagerten Strahlungsverlusten ausgeht. Zur Erkl¨arung modellierte ich das Oberfl¨achenhelligkeitsprofil unter Ber¨ucksichtigung von Projektionseffekten, Magnetfeldvariationen und Schockdeformation, um eine realistischere Beschreibung der beobachteten Emission zu liefern. Das dritte Projekt konzentriert sich auf das komplexe dreifachverschmelzende System Abell 746, in dem ich mehrere reliktartige Strukturen sowie das zentrale Radiohalo mithilfe von LO- FAR LBA, HBA und erg¨anzenden h¨oherfrequenten Daten analysierte. Ich best¨atigte das Vorhandensein eines klassischen bogenf¨ormigen Relikts im Nordwesten mit typischer spektraler Steilung (von α53_144 ∼ −0.5 am Haufenrand bis α53 144 ∼ −2.5 zum Haufenzentrum hin), was mit einer Alterung hinter einer Stoßfront mit MNW = 2.8 ± 0.3 ¨ubereinstimmt. ¨Ahnlich niedrige Mach- Zahlen wurden f¨ur die anderen reliktartigen Strukturen (R1, R2, R3) abgeleitet, was auf eine ineffiziente Teilchenbeschleunigung hinweist und die Rolle fossilen Plasmas als Saatpopulation f¨ur die Wiederbeschleunigung unterstreicht. Schließlich zeigte sich, dass das zentrale Gebiet ein ∼ 1 Mpc großes Radiohalo mit einem ultra-steilen Spektrum (α53 144 ∼ −1.6) beherbergt, das durch Anpassung des Oberfl¨achenhelligkeitsprofils charakterisiert wurde. Eine vollst¨andige Ab-trennung von diffuser, kontaminierender Emission war jedoch nicht m¨oglich. Dieses Ergeb- nis stimmt mit Vorhersagen aus dem Szenario der turbulenten Wiederbeschleunigung ¨uberein, welches ultra-steile Halos bevorzugt in massearmen Haufen wie A746 erwartet. Die Ergebnisse dieser Arbeiten belegen, dass die Kombination aus niedrig- und ultra- niedrigfre- quenten Beobachtungen entscheidend ist, um die Population steilspektraler Radioquellen in Galax- ienhaufen zu identifizieren und zu charakterisieren. Die in dieser Arbeit genutzte Synergie zwischen LOFAR HBA (∼ 150 MHz) und LBA (∼ 50 MHz) erm¨oglichte eine detaillierte Unter- suchung der Spektralverteilung dieser Quellen und lieferte wertvolle Einblicke in Teilchenal- terungs und -wiederbeschleunigungsprozesse, die bei h¨oheren Frequenzen (∼ GHz) verborgen geblieben w¨aren.

Titel

Kurzfassung

Summary

Galaxy clusters form at the intersection of cosmic filaments, via the gravitational collapse of ini- tial density fluctuations in the early Universe and subsequent accretion of gas and substructures. During this process, large amounts of energy are released in the form of shocks and turbulence, which in turn can compress and amplify the magnetic field and accelerate particles to relativistic energies. Due to the presence of the ∼ μG cluster magnetic field, these relativistic particles give rise to synchrotron radio emission, usually observed as Mpc-scale diffuse sources, in the form of radio halos and relics. Radio relics are elongated sources, usually found in the clusters’ out- skirts tracing cluster-merger-driven shock waves. Halos are centrally located sources, thought to originate from turbulence re-acceleration mechanisms that develop during cluster mergers. Observations at ultra-low frequencies (≲ 100 MHz) are essential to constrain the shape of the electron energy distribution and detect spectral features that reflect the acceleration and ageing history of the emitting particles. To date, only a handful of galaxy clusters have been studied in this frequency range, making every new object a valuable contribution to the low-frequency view of non-thermal physics. Another characteristic radio component of clusters are radio galaxies. In clusters, these jets and lobes of active galactic nuclei (AGN) oftentimes show a peculiar morphology due to the interaction with the surrounding intra-cluster medium (ICM). Via this interaction, they play an important role in the thermal and dynamical evolution of clusters, while also seeding relativistic particles into the ICM. This mildly relativistic particles can later be re-accelerated by cluster- scale processes, contributing to the formation of the above-mentioned diffuse sources. Due to their characteristic steep spectra, both diffuse cluster emission and AGN plasma are best studied at low radio frequencies (≲ 300 MHz), where they are intrinsically brighter. However, interferometric radio observations in this regime come with significant techni- cal challenges. Above all, the strong influence of ionospheric disturbances which introduces direction-dependent systematic errors across the field of view. The advent of the LOw-Frequency ARray (LOFAR), and in particular its Low Band Antennas (LBA) system, has opened a new observational window, enabling high-sensitivity and high-resolution imaging in this frequency range. Accessing this ultra-low-frequency regime is essential for tracing ultra-steep-spectrum emission, studying the ageing and re-acceleration cosmic ray electrons, and tracing fossil plasma from past AGN activity. Throughout this thesis, I exploit the capabilities of LOFAR LBA to study a selection of objects that, due to their unique characteristics, provide important insights into non-thermal cluster physics. In the first project of this thesis, I investigated the dynamical interaction between radio galaxies and the surrounding medium in the galaxy cluster ZwCl0634.1+4747. I combined data of four telescopes covering frequencies between 53 MHz and 1.5 GHz of three head-tail radio galaxies hosted by this cluster, which are likely important sources of seed populations of mildly relativistic electrons in the intra-cluster medium and thus key ingredients for the (re-)acceleration processes responsible for diffuse, large-scale radio emission in clusters. For this work, the combined use of LOFAR LBA and HBA observations was crucial to detect the full extent of the radio galaxy tails up to a distance of ∼ 1 Mpc, among the longest head-tailed radio galaxies known, and to characterize the spectral properties of the AGN-tails. I identified clear departures from a pure ageing models involving synchrotron and inverse-Compton losses. Lastly, I explored different possible physical processes responsible for this behavior, and showed that re-acceleration driven by turbulence into the tail via interaction with the ICM provides a viable explanation. In the second and third projects, I focused on particle acceleration in merging galaxy clusters by studying radio relics and halos. The second project is about CIZA J2242.8+5301, a well-known major merging galaxy clus- ter which hosts a prototypical example for a radio relic. For this object, I carried out the first full reduction and calibration of LOFAR LBA data at 45 MHz, where I achieved a thermal noise limited image with σrms ∼ 1.5 mJy/beam. By combining these observations with extensive multi-frequency data up to 3 GHz, I derived integrated and spatially resolved spectral indices, as well as spectral curvature maps. Moreover, the low-frequency data, naturally less affected by radiative losses, allowed a direct estimate of the injection spectrum, and thus the shock Mach numbers, yielding MN = 2.9 ± 0.5 and MS = 2.9 ± 0.8 for the northern and southern relics, respectively. Finally, I focused on the surface brightness morphology of the northern relic, the well-defined radio structure that made this cluster commonly known as the ”Sausage” cluster. I found that, contrary to expectations, the eastern part of the northern relic shows a remarkably symmetric profile, with wings extending on either side of the peak. This is inconsistent with the standard scenario of particle acceleration at a single, sharp shock and the subsequent down- stream radiative losses of accelerated electrons. To explain this, I modeled the surface brightness profile, including projection effects, magnetic field variation and shock deformation to provide more realistic description of the observed emission. The third project focuses on the complex triple-merger system Abell 746, where I analysed multiple relic-like structures and the central radio halo using LOFAR LBA, HBA, and comple- mentary higher-frequency data. I confirmed the presence of a classical arc-shaped relic in the northwest, with standard spectral steepening (from α53 144 ∼ −0.5 at the outer edge to α53 144 ∼ −2.5 toward the cluster centre) consistent with ageing behind a shock front with MNW = 2.8 ± 0.3. Similarly low Mach numbers are derived for the other relic-like structures (R1, R2, R3), point- ing to inefficient particle acceleration and suggesting the contribution of fossil plasma as a seed population for reacceleration. Finally, I found that the central region hosts a ∼ 1 Mpc ultra-steep spectrum radio halo α53 144 ∼ −1.6, characterized through surface brightness profile fitting, which also enabled to isolate it from surrounding diffuse contaminating emission. This result is consistent with predictions from the turbulent re-acceleration scenario, which expects ultra-steep halos to preferentially reside in low-mass clusters, such as A746. The results from these works prove that the combination of low- and ultra-low frequency observations is essential to detect and characterize the population of steep-spectrum radio sources in galaxy clusters. Thanks to the synergy between LOFAR HBA (∼ 150 MHz) and LBA (∼ 50 MHz) used in this work, I was able to study the spectral shape of these sources, providing insights into particle ageing and re-acceleration processes, that would otherwise remain unseen at higher (∼ GHz) frequencies.